Ligas Welt (German Edition) by Margo Lanagan

Ligas Welt (German Edition) by Margo Lanagan

Autor:Margo Lanagan [Lanagan, Margo]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644535916
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-01-30T16:00:00+00:00


Branza

Im Frühling nachdem Bär Zwei verschwunden war, entdeckte Branza zwei ausgehungerte Wolfsjunge, die entkräftet durch den Wald staksten.

Sie nahm sie mit nach Hause. «Ich habe keine Ahnung, was ihrer Mutter zugestoßen ist», sagte sie zu Liga und schlug ihre Schürze auf, um ihr die Tiere zu zeigen. «Meinst du, sie vertragen Ziegenmilch, oder gehen sie davon ein?»

«Es ist sicher besser als gar nichts», sagte Liga.

Branza kümmerte sich mit gewohnter Sorgfalt um die Tiere. Beide Wolfsjunge gediehen zunächst gut; erst nahmen ihre Energie und ihr Spieltrieb zu, dann wurden sie größer und stärker. Branza erkundigte sich bei einem Schäfer, wie er seinen Hunden Befehle erteilte, damit sie ihren neuen Schützlingen beibringen konnte, sich auf Kommando zu setzen oder hinzulegen, sich im und ums Haus zu benehmen und auf ihr Pfeifen herbeigelaufen zu kommen, falls sie weiter entfernt waren. Doch als sie gerade alt genug waren, um artig neben Branza herzutrotten, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig jagten oder aufeinander zusprangen, bekam das größere, weibliche Wolfsjunge Fieber, weil es zu lange im Sumpfwasser herumgetollt war, und nachdem es eine Nacht lang fiebrig vor sich hin gezittert hatte, starb es.

«Oh, mein armer Kleiner», sagte Branza zu dem Brüderchen, das mit den Pfoten über die Stelle scharrte, an der Branza das Wolfsgrab aushob, «jetzt geht’s dir genau wie mir, nicht wahr? Immer fehlt einem irgendwer – Schwester, Schatz oder Bär.»

Sie legte das tote Wolfsmädchen in die Grube, und ihr Bruder kletterte hinterher, schnüffelte alles um sie herum ab, als wollte er sichergehen, dass sie so richtig lag. Als er zufrieden war, hob Branza ihn heraus, und er blieb besonnen und respektvoll vor dem Grab sitzen, während sie es zuschüttete, die Wölfin bedeckte und die Erde auf dem Grab festklopfte.

Auch mehrere Tage später hatte der kleine Wolf noch nicht verstanden, dass seine Schwester für immer verschwunden war. Branza gab sich alle Mühe, ebenso viel mit ihm zu spielen wie seine verstorbene Schwester, und wenn es Zeit für das gemeinsame Nickerchen der Wolfsjungen war, trug Branza ihn auf dem Arm mit sich herum oder nahm ihn auf den Schoß und half Liga, Wolle aufzuwickeln, oder sie ruhte sich ebenfalls aus und sah zu, wie das Wetter vor dem Fenster vorbeizog.

Von da an waren die beiden unzertrennlich. Der Wolf schlief im Haus neben Branzas Bett – selbst dann noch, als er ausgewachsen war –, und wenn sie von nächtlichen Gedanken oder schlechten Träumen aufgeschreckt wurde, konnte sie die Hand nach ihm ausstrecken und ihn berühren. Und tagsüber folgte er ihr auf Schritt und Tritt, ob sie etwas erntete oder einpflanzte, die Wäsche wusch oder fischte, Fallen auslegte, durch Hügel und Heide strich oder singend durch den Wald wanderte. Wenn Branza es ihm vormachte, brachte der Wolf selbst eine Art Gesang zustande und entzückte sie damit – wie mit allem anderen auch.

Wenn sie mit ihm in die Stadt ging, war er dort ebenso willkommen wie sie selbst. Bereitwillig ließ er sich den Kopf tätscheln und den Bauch kraulen und erlaubte ein paar von den kleineren Kindern sogar, einige Schritte auf ihm zu reiten, während sie von ihren älteren Geschwistern festgehalten wurden.



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